Regenbogen

Normaler Geigenunterricht konzentriert sich meist auf die europäische klassische Musik, wo die Kunst des Geigens zur höchsten Blüte gelangt ist. Aber auch in volkstümlicher und populärer Musik gibt es reizvolle Betätigungsmöglichkeiten für Geiger bzw. Fiddler. Falls es dich in diese Richtung zieht, hast du es sogar leichter, weil solche Musik meist mit weniger Stilmitteln auskommt: Viele Traditionen verzichten auf Techniken wie Vibrato, Springbogen, Verwendung des kleinen Fingers oder höhere Lagen.

Man findet dafür allerdings schwerer Unterrichtsmaterial und Lehrer, die einem so etwas beibringen. Sollte es dich speziell zur traditionellen irischen Musik hinziehen, hast du Glück, denn da ist allerhand Material verfügbar.

Irish Fiddle

Traditionelle irische Tunes sehen auf dem Notenblatt recht einfach aus, z. B. dieser Reel „The Humours of Tulla“:

Reel „The Humours of Tulla“, einfache Fassung

Der Eindruck täuscht, denn die Noten verraten nicht alles. Sie stellen nur ein spärliches Grundgerüst dar. Es ist die Aufgabe des Musikanten, so eine schlichte Melodie stilecht mit Rhythmus und Verzierungen aufzupeppen. So kommt am Ende etwas heraus, was voll ausnotiert ungefähr so aussehen könnte:

Reel „The Humours of Tulla“, ausgeschmückte Fassung

Um einigermaßen stilecht zu spielen, hält man sich besser nicht so sehr an die Noten, sondern hört sich Aufnahmen an, um zu lernen, wie es klingen sollte. Man findet genügend mit ein paar Klicks auf Youtube.

Tempo

Halbe = 112 Traditionelle Musik im engeren Sinne ist in Irland stets Tanzmusik. Diese muss schnell gespielt werden, damit die Tänzer zurechtkommen. 112 Schläge pro Minute zum Beispiel scheinen nicht viel, aber sie gelten für halbe Noten; die Viertel sind doppelt so schnell!

Üben tut man natürlich erst einmal langsamer, um sich allmählich zum richtigen Tempo zu steigern. Es ist durchaus üblich, die Taktschläge laut mit dem Fuß zu klopfen.

Überflüssiges

Manche Techniken, die man beim klassischen Geigen lernt, sind beim Fiddeln verzichtbar oder fehl am Platz. Man spielt in aller Regel:

Rhythmus

Auch wenn kein Swing (Punktierung, Synkope) notiert ist, darf man gern mehr oder weniger beSwingt spielen – also bei Gruppen von Achtelnoten zwei Achtel das erste Achtel etwas länger spielen und das zweite entsprechend kürzer: punktiert oder genauer: Triole
Auch im 6/8-Takt, wo Achtel in Dreiergruppen stehen, wird das erste Achtel einer Gruppe länger gespielt, mit mehr Bogen, und die restlichen beiden kürzer.

Im 4/4-Takt macht es sich gelegentlich gut, Offbeat. zu spielen, also das zweite und vierte Viertel zu betonen.

Verzierungen

Die Melodie wird reichlich mit Verzierungen ausgeschmückt:

Es kommt bei diesen Verzierungen nicht darauf an, dass man jeden kleinsten Ton sauber heraushört. Es kommt nicht einmal genau darauf an, welche Töne es sind. Kurze Vorschläge reißt man meist mit dem Ringfinger an, egal welche Hauptnote zugrundeliegt. Sie werden ohnehin so kurz gespielt, dass man sie nicht als Töne wahrnimmt. Es ist vielmehr der rhythmische Effekt, auf den es ankommt, das Geräusch, das entsteht, wenn ein Ton in einen anderen überschlägt.
Weitere Verzierungsmöglichkeiten sind:

Man darf auch die Melodie abwandeln (Paraphrase).

Streichen

Zunächst ist man auf der sicheren Seite, wenn man alle Noten mit kurzen, abgesetzten Strichen (détaché) spielt. Bei höherem Tempo müssen die Bogenwechsel dann sehr schnell gehen, aus dem Handgelenk.

Cross bowing: Eventuelle Bindungen (legato) nicht innerhalb einer Achtelgruppe anbringen, sondern dazwischen, auch über den Taktstrich hinweg. Den angebundenen Ton trotzdem mit mehr Bogen betonen.
Cross bowing

Welchen Noten mit Aufstrich oder Abstrich zu spielen sind, wird beim klassischen Geigen oft genau festgelegt. Beim Fiddeln ist es einerlei.

Wenn ein und derselbe Ton mehrmals hintereinander zu spielen ist, werden die Einzeltöne eher nicht durch Bogenwechsel abgegrenzt, sondern durch kurze Vorschläge:
Cut

Körperhaltung

Die Haltung, die im klassischen Geigenunterricht gelehrt wird, kann auch zum Fiddeln beibehalten werden. Alternativ ist es aber auch möglich, eine lässigere Haltung einnehmen: Man muss das Instrument nicht unbedingt zwischen Kinn und Schlüsselbein klemmen, sondern kann es auch im Arm halten oder am Brustkorb abstützen. Mit der Greifhand muss man dann allerdings auch festhalten, damit es nicht herunterfällt.

Traditionell wird der Bogen nur mit wenigen Fingern gehalten, nicht direkt am Frosch, sondern ein Stück weiter oben an der Stange. So liegt er leichter in der Hand und ist beweglicher, allerdings ist der untere Teil (am Frosch) dann nicht nutzbar.

Zusammenspiel

Irische Tunes sind einstimmig gesetzt. Man kann sie recht gut allein mit einer einzigen Fiddle vortragen, oder mit mehreren Fiddlern, die alle das gleiche spielen. Man kann auch Flöten und Dudelsack dazunehmen, die ebenfalls das gleiche spielen, und Gitarren, Harmonikas und Trommeln zur Begleitung. Zur Not auch andere Instrumente, die gerade verfügbar sind. Mehrstimmigkeit entsteht:

  1. latent durch die Melodieführung,
  2. durch Begleitakkorde von Gitarre, Ziehharmonika o. a.
  3. dadurch, dass die Musiker unterschiedliche Verzierungen einbringen, oder
  4. durch Borduntöne (drones). Die kannst du auf der Fiddle erzeugen, indem du zusätzlich zur Melodie eine leere Nachbarsaite streichst, die harmonisch dazu passt. Der Bordun als Ausdrucksmittel stammt vom Dudelsack, dort sind Bordune fest eingebaut.

Schluss

Irische Tunes haben keinen Schluss. Sie werden etliche Male wiederholt, danach geht man nahtlos zum nächsten Tune über. Um letztendlich zu einem Schluss zu kommen muss man sich etwas einfallen lassen, einen Schlussteil komponieren oder improvisieren.

Verweise

Fiddle in der traditionellen irischen Musik · Virtual session · Fiddle resources · Deutsches Fiddle-Forum · Fiddle and Alternative Strings Forum · Folkfriends · Thesession.org · Literatur